Der kleine Kummer der Sprache

Bild: Aleksandra Krivdic, Pexels.

Hannah Altmann und ihre Mutter haben nie dieselbe Sprache fliessend gesprochen, und in den letzten Jahren des Lebens ihrer Mutter machte sich dieser Kummer bemerkbar. Aber war wirklich die Sprache das Problem?

Wenn ich ein Kind bekommen hätte, welche Sprache hätte es dann mit meiner Mutter geteilt? Diese hypothetische Frage macht nagt noch lang nach dem Tod meiner Mutter an mir.

Es gibt diese Vorstellung, dass man nur eine Küchenschublade öffnen muss, um zu sehen, ob man eine Sprache wirklich beherrscht. Die schwedische Küchenlade liegt mir am nächsten, die österreichische kenne ich aber auch ganz gut. Ich kenne Schieber, Schöpfer, Reibe und Quirl. Ich habe die Wörter als Kind von meiner Mutter gelernt, und auch ihren Bewegungen in der Küche. Von ihr weiß ich, dass man lieber Eiweiß geduldig aufschlagen sollte, statt, wie in Schweden, direkt zum Backpulver zu greifen, dass Mohn gequetscht und Nüsse gerieben werden und dass man Topfen nicht ist, um stark und schlank zu werden, sondern dass er in süße, kleine Hefetaschen gefüllt gehört. Aber wenn ich jetzt versuche, mich an den Namen des hölzernen Dings zu erinnern, mit dem man einen Teig ausrollt, fällt mir das Wort in keiner meiner Sprachen ein. Das geht mir öfter so. Das Wort verschwindet völlig außer Reichweite, und mir bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass es irgendwann wieder auftaucht.

Meine Mutter zog Anfang der 80er Jahre von Österreich nach Stockholm, nachdem sie meinen schwedischen Vater auf einer Skipiste kennen gelernt hatte. Schwedens EU-Mitgliedschaft, und die offenen innereuropäische Grenzen, waren noch in weiter Ferne, und wie alle anderen Immigranten musste sie damals bei der schwedischen Einwanderungsbehörde eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und nachweisen, dass ihre Ehe mit einem Mann, der fünfzehn Jahre älter war als sie, nicht nur eine Fassade war. Wofür, fragte sie sich. Warum sollte sie ihr Leben auf dem Kontinent verlassen, um nach Schweden zu ziehen, wenn nicht aus Liebe?

Stockholm empfand sie damals mehr als den fernen Norden als Europa. Wenn ich versuche, mir Stockholm in den 1980er Jahren vorzustellen versuche, habe ich einen grauen, ewig düsteren Frühlingswinter vor Augen. Es gab damals nur wenige Straßencafés, Sauerteig und Espresso setzten sich erst viel später durch. Aber es gab die Natur. Das Meer, die Wälder und die Seen. Und es gab unsere kleine Familie.

Bei uns zu Hause wurden drei Sprachen gesprochen. Es gab nie Zweifel, dass Deutsch die Sprache meiner Mutter war, und dass Schwedisch die Sprache meines Vaters war. Meine Eltern sprachen untereinander Englisch. Jeder verstand den anderen und verstand auch, wenn er nichts verstehen musste. Wenn ich etwas auf Deutsch sagte, hörte meine Mutter zu, wenn ich etwas auf Schwedisch sagte, nahm mein Vater oder mein Bruder den Faden auf.

Ich bekam also mehrere Sprachen und Kulturen geschenkt, eine größere Welt, das ist ja eigentlich was Gutes. Wenn ich zurückdenke, kann ich auch nicht genau sagen, wann sich dieser Kummer bemerkbar machte. Irgendwann auf dem Weg zum Erwachsenwerden muss es passiert sein, dass Deutsch auch eine Sprache der Unzulänglichkeit wurde. Deutsch wurde zu der Sprache, die so deutlich markierte, was mich von der Welt meiner Mutter trennte.

Als ich in Schweden aufwuchs, war die deutsche Sprache nicht so sehr geachtet. Deutschland war erst geteilt, dann wieder vereint, aber für die auf die Englische Sprache eingerichtete Mainstreamkultur hoffnungslos uninteressant, und es sollte noch bis weit in die 00er Jahre dauern, bis Leute anfingen sich nach Berlin, statt nach London und New York, zu träumen. Österreich wiederum war ein Ort für Skicharter und Après-Ski und Mozartkugeln und das Geburtsland Hitlers. Kam es von da, dass ich die deutsche Sprache nicht in den Mund nehmen wollte? Ein Gefühl, dass Deutsch die Sprache der Looser und Mörder war. Wann kam mir diese Erkenntnis?

In den Sommern, wenn ich meine Großeltern besuchte, schrieb ich Briefe nach Schweden über alles, was ich an Österreich einzigartig fand. Dass wir es uns leisten konnten, in Restaurants zu essen, dass jede Ruine, die wir besuchten, während des Dreißigjährigen Krieges von den Schweden besetzt worden war, dass man Eis im Becher mit Schlag isst, nicht nur in einer Tüte. Ich schrieb über den ständigen Strom von Verwandten und Bekannten, die bei uns auftauchten, ohne vorher anzurufen. Dass die Leute sagten, die Schweden sind wieder da, als wären wir eine kleine Attraktion, ein eigenes kleines Königshaus. Aber ich habe nie darüber geschrieben, dass die Leute, die wir trafen, meine Mutter immer fragten, ob sie, das heißt ich, denn auch Deutsch spreche wehrend ich still daneben stand.

Ich war ein stilles Kind. Ich hörte gern den Familienchroniken und dem Kleinstadtklatsch zu, die windelnden Gespräche, aber ich wollte nicht selbst teilnehmen. Manchmal bin ich auch heute noch ein stiller Erwachsener, besonders wenn ich Deutsch sprechen muss, denn dann überkommt mich dieses Gefühl, dass ich eigentlich besser Deutsch sprechen sollte als ich es tue. Vielleicht ist es eher ein Schuldgefühl als Traurigkeit, das ich empfinde. Dass ich das Geschenk einer Sprache nicht besser genutzt habe.

Deutsch lag mir schon immer schwer im Mund. Ich muss immer etwas nachdenken, bevor ich einen vollständigen Satz ausspreche, und die zusätzliche Sekunde, die ich brauche, um ein Wort zu finden, fühlt sich immer lang an, wenn sie zu einer Unterbrechung in einem Gespräch wird, das leichter fließen sollte. Ich werde dann immer etwas bedrückt, denn es erinnert mich daran, dass meine Mutter und ich nie dieselbe Sprache ganz fließend sprachen. Und wenn ich ein Kind bekommen hätte, welche Sprache hätte es mit meiner Mutter geteilt?

Meine Mutter hat sich nie für ihre Schwedische Aussprache geniert, brauchte sie auch nicht, aber ihre Aussprache hat sie immer bemerkbar gemacht. Als Kind merkt man sofort, wenn deine Eltern anders sind. Der Tonfall der Schweden, die wir trafen, veränderte sich direkt. Sie sprachen langsamer, sie sprachen deutlicher. Und dann kam es, das Kompliment an jede eingewanderte Deutschsprachige Frau aus der Generation meiner Mutter: Du sprichst ja besser Schwedisch als Königin Silvia. Was für eine tüchtige kleine Mutti!

So ist das eben, wenn man als Kind langsam anfängt erwachsen zu werden und die Welt und ihre Funktionsweise zu begreifen. Man erkennt, dass die Art und Weise, wie man der Welt gegenübertritt, nicht nur mit dem Körper und der Kleidung zu tun hat, sondern auch mit der Stimme und der Sprache. Man kann zu vielen Kontexten gehören und gleichzeitig an keinem Ort ganz zu Hause ist. Vielleicht ist das Preis, den man für einen viel größeren Gewinn zahlt.

Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umhöre, der wie ich aufgewachsen ist oder einen Partner mit einer anderen Muttersprache gefunden hat, dann ist die Freude über die sprachlichen Gemeinsamkeiten und die hausgemachten Traditionen ebenfalls groß. Wenn die Wurst in der schwedisch-chilenischen Familie zu el korvo wird, wenn Feiertage doppelt, dreifach und auf unterschiedliche Weise gefeiert werden können. Die Sprache, das Essen, das ganze Leben wird zu einem liebevollen Mix der Kulturen, wie die Lucia-Hemden, die meine Großmutter für uns genäht hat, mit viel zu viel Spitze an dem Kragen und den Kanten. (Und jetzt fällt mir das Wort wieder ein – Nudelwalker! Kavel!)

Meine Mutter ist nie Schwedin geworden, was auch immer das sein mag, aber Schweden wurde ihr zu Hause. Dank dem Meer und den Seen und unserer kleinen Familie. Sie wollte auch nach dem Tod meines Vaters nicht zurück nach Österreich ziehen. Und als meine Mutter zu früh krank wurde, aber nicht so früh, dass es was Unerhörtes gewesen wäre, und ich sie zu den Arztterminen begleitete, nahm die Sprache eine neue Wendung. Je müder sie wurde, desto mehr kamen ihr die Worte in die Quere, und wie bei allen alternden Eltern und Kindern, wechselte die Hierarchie zwischen Pfleger und Gepflegtem. Ich musste ihr Gedächtnis sein, manchmal auch ihr Dolmetscher. In ihrer Stelle, in vertrautem Schwedisch, erklärte und forderte ich an, erzählte und erinnerte ich mir. Und mit zunehmend stolpernden Deutsch bemühte ich mich, mit Verwandten und Freunden meiner Mutter in Kontakt zu bleiben. Obwohl ich die Küchenschublade gut kenne, gehörte die Sprache von Krankheit und Tod nicht zu meinem deutschen Wortschatz. Vielleicht war das der Punkt, an dem die Trauer aufblühte, als sich die Perspektiven verschoben. Die Unzulänglichkeit, nicht alles, was ich sagen wollte, in ihrer Sprache sagen zu können, und dass ich die Trauer meiner Angehörigen nicht in ihrer Sprache beantworten konnte.

In dem letzten Monat im Leben meiner Mutter, es war ein heißer August, als sie akzeptiert hatte, dass sie sterben würde, saßen wir oft still zusammen im Garten des Hospizes. Wir sahen den Bienen zu, die zum Trinken in eine flache Vogeltränke flogen, hörten, wie Äpfel mit dumpfem Knall zu Boden fielen. Wir saßen oft ganz still, aber ich fragte sie einmal, ob es ihr leidtäte, dass sie keine Enkelkinder hatte, und sie sagte nein, aber dass es ihr leid getan hätte, wenn ich mir Kinder gewünscht hätten.

Welche Sprache hätte ich dem Kind gegeben? Ich kann mir nur vorstellen, dass ich mit meinem Kind Schwedisch gesprochen hätte, die Sprache, die für mich am leichtesten fließt, und damit hätte ich das Kind und mich noch weiter aus dem Leben meiner Mutter entfernt. Aber so ist halt der Lauf der Migration, auch wenn sie aus Liebe geschieht.

Das erste Buch, von dem mein Vater meinte, meine Mutter solle es auf Schwedisch lesen, war Harry Martinssons Aniara. Hätte ich ein Kind gehabt, hätte ich gesagt: Das erste Buch, das deine Großmutter auf Schwedisch las, handelt von einem Raumschiff, das vom Kurs abkommt und nicht mehr nach Hause zurückkehren kann. Es handelt von einer Reise ins Unbekannte. Es geht um den Versuch, einen Weg zu finden, wenn es keinen Weg mehr gibt, und um fortzuleben, wenn es keine Orientierungspunkte mehr gibt.

Aber das ist nicht mehr wichtig. Die Kinder werden nie geboren werden, meine Mutter ist tot und in Schweden begraben. Wenn ich darüber nachdenke, ist es vielleicht nicht mehr die Sprache, um die ich trauere, sondern alles andere, was mit dem Tod eines Elternteils verloren geht. Was nie gesagt wurde, wonach man nie gefragt hat. Was man nie verstehen wird.
Vielleicht war die Sprache auch gar nicht das Problem.

Hannah Altmann • 2024-06-24
Hannah Altmann är skribent och kulturarbetare och bor i Stockholm.


Der kleine Kummer der Sprache

Bild: Aleksandra Krivdic, Pexels.

Hannah Altmann und ihre Mutter haben nie dieselbe Sprache fliessend gesprochen, und in den letzten Jahren des Lebens ihrer Mutter machte sich dieser Kummer bemerkbar. Aber war wirklich die Sprache das Problem?

Wenn ich ein Kind bekommen hätte, welche Sprache hätte es dann mit meiner Mutter geteilt? Diese hypothetische Frage macht nagt noch lang nach dem Tod meiner Mutter an mir.

Es gibt diese Vorstellung, dass man nur eine Küchenschublade öffnen muss, um zu sehen, ob man eine Sprache wirklich beherrscht. Die schwedische Küchenlade liegt mir am nächsten, die österreichische kenne ich aber auch ganz gut. Ich kenne Schieber, Schöpfer, Reibe und Quirl. Ich habe die Wörter als Kind von meiner Mutter gelernt, und auch ihren Bewegungen in der Küche. Von ihr weiß ich, dass man lieber Eiweiß geduldig aufschlagen sollte, statt, wie in Schweden, direkt zum Backpulver zu greifen, dass Mohn gequetscht und Nüsse gerieben werden und dass man Topfen nicht ist, um stark und schlank zu werden, sondern dass er in süße, kleine Hefetaschen gefüllt gehört. Aber wenn ich jetzt versuche, mich an den Namen des hölzernen Dings zu erinnern, mit dem man einen Teig ausrollt, fällt mir das Wort in keiner meiner Sprachen ein. Das geht mir öfter so. Das Wort verschwindet völlig außer Reichweite, und mir bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass es irgendwann wieder auftaucht.

Meine Mutter zog Anfang der 80er Jahre von Österreich nach Stockholm, nachdem sie meinen schwedischen Vater auf einer Skipiste kennen gelernt hatte. Schwedens EU-Mitgliedschaft, und die offenen innereuropäische Grenzen, waren noch in weiter Ferne, und wie alle anderen Immigranten musste sie damals bei der schwedischen Einwanderungsbehörde eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und nachweisen, dass ihre Ehe mit einem Mann, der fünfzehn Jahre älter war als sie, nicht nur eine Fassade war. Wofür, fragte sie sich. Warum sollte sie ihr Leben auf dem Kontinent verlassen, um nach Schweden zu ziehen, wenn nicht aus Liebe?

Stockholm empfand sie damals mehr als den fernen Norden als Europa. Wenn ich versuche, mir Stockholm in den 1980er Jahren vorzustellen versuche, habe ich einen grauen, ewig düsteren Frühlingswinter vor Augen. Es gab damals nur wenige Straßencafés, Sauerteig und Espresso setzten sich erst viel später durch. Aber es gab die Natur. Das Meer, die Wälder und die Seen. Und es gab unsere kleine Familie.

Bei uns zu Hause wurden drei Sprachen gesprochen. Es gab nie Zweifel, dass Deutsch die Sprache meiner Mutter war, und dass Schwedisch die Sprache meines Vaters war. Meine Eltern sprachen untereinander Englisch. Jeder verstand den anderen und verstand auch, wenn er nichts verstehen musste. Wenn ich etwas auf Deutsch sagte, hörte meine Mutter zu, wenn ich etwas auf Schwedisch sagte, nahm mein Vater oder mein Bruder den Faden auf.

Ich bekam also mehrere Sprachen und Kulturen geschenkt, eine größere Welt, das ist ja eigentlich was Gutes. Wenn ich zurückdenke, kann ich auch nicht genau sagen, wann sich dieser Kummer bemerkbar machte. Irgendwann auf dem Weg zum Erwachsenwerden muss es passiert sein, dass Deutsch auch eine Sprache der Unzulänglichkeit wurde. Deutsch wurde zu der Sprache, die so deutlich markierte, was mich von der Welt meiner Mutter trennte.

Als ich in Schweden aufwuchs, war die deutsche Sprache nicht so sehr geachtet. Deutschland war erst geteilt, dann wieder vereint, aber für die auf die Englische Sprache eingerichtete Mainstreamkultur hoffnungslos uninteressant, und es sollte noch bis weit in die 00er Jahre dauern, bis Leute anfingen sich nach Berlin, statt nach London und New York, zu träumen. Österreich wiederum war ein Ort für Skicharter und Après-Ski und Mozartkugeln und das Geburtsland Hitlers. Kam es von da, dass ich die deutsche Sprache nicht in den Mund nehmen wollte? Ein Gefühl, dass Deutsch die Sprache der Looser und Mörder war. Wann kam mir diese Erkenntnis?

In den Sommern, wenn ich meine Großeltern besuchte, schrieb ich Briefe nach Schweden über alles, was ich an Österreich einzigartig fand. Dass wir es uns leisten konnten, in Restaurants zu essen, dass jede Ruine, die wir besuchten, während des Dreißigjährigen Krieges von den Schweden besetzt worden war, dass man Eis im Becher mit Schlag isst, nicht nur in einer Tüte. Ich schrieb über den ständigen Strom von Verwandten und Bekannten, die bei uns auftauchten, ohne vorher anzurufen. Dass die Leute sagten, die Schweden sind wieder da, als wären wir eine kleine Attraktion, ein eigenes kleines Königshaus. Aber ich habe nie darüber geschrieben, dass die Leute, die wir trafen, meine Mutter immer fragten, ob sie, das heißt ich, denn auch Deutsch spreche wehrend ich still daneben stand.

Ich war ein stilles Kind. Ich hörte gern den Familienchroniken und dem Kleinstadtklatsch zu, die windelnden Gespräche, aber ich wollte nicht selbst teilnehmen. Manchmal bin ich auch heute noch ein stiller Erwachsener, besonders wenn ich Deutsch sprechen muss, denn dann überkommt mich dieses Gefühl, dass ich eigentlich besser Deutsch sprechen sollte als ich es tue. Vielleicht ist es eher ein Schuldgefühl als Traurigkeit, das ich empfinde. Dass ich das Geschenk einer Sprache nicht besser genutzt habe.

Deutsch lag mir schon immer schwer im Mund. Ich muss immer etwas nachdenken, bevor ich einen vollständigen Satz ausspreche, und die zusätzliche Sekunde, die ich brauche, um ein Wort zu finden, fühlt sich immer lang an, wenn sie zu einer Unterbrechung in einem Gespräch wird, das leichter fließen sollte. Ich werde dann immer etwas bedrückt, denn es erinnert mich daran, dass meine Mutter und ich nie dieselbe Sprache ganz fließend sprachen. Und wenn ich ein Kind bekommen hätte, welche Sprache hätte es mit meiner Mutter geteilt?

Meine Mutter hat sich nie für ihre Schwedische Aussprache geniert, brauchte sie auch nicht, aber ihre Aussprache hat sie immer bemerkbar gemacht. Als Kind merkt man sofort, wenn deine Eltern anders sind. Der Tonfall der Schweden, die wir trafen, veränderte sich direkt. Sie sprachen langsamer, sie sprachen deutlicher. Und dann kam es, das Kompliment an jede eingewanderte Deutschsprachige Frau aus der Generation meiner Mutter: Du sprichst ja besser Schwedisch als Königin Silvia. Was für eine tüchtige kleine Mutti!

So ist das eben, wenn man als Kind langsam anfängt erwachsen zu werden und die Welt und ihre Funktionsweise zu begreifen. Man erkennt, dass die Art und Weise, wie man der Welt gegenübertritt, nicht nur mit dem Körper und der Kleidung zu tun hat, sondern auch mit der Stimme und der Sprache. Man kann zu vielen Kontexten gehören und gleichzeitig an keinem Ort ganz zu Hause ist. Vielleicht ist das Preis, den man für einen viel größeren Gewinn zahlt.

Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umhöre, der wie ich aufgewachsen ist oder einen Partner mit einer anderen Muttersprache gefunden hat, dann ist die Freude über die sprachlichen Gemeinsamkeiten und die hausgemachten Traditionen ebenfalls groß. Wenn die Wurst in der schwedisch-chilenischen Familie zu el korvo wird, wenn Feiertage doppelt, dreifach und auf unterschiedliche Weise gefeiert werden können. Die Sprache, das Essen, das ganze Leben wird zu einem liebevollen Mix der Kulturen, wie die Lucia-Hemden, die meine Großmutter für uns genäht hat, mit viel zu viel Spitze an dem Kragen und den Kanten. (Und jetzt fällt mir das Wort wieder ein – Nudelwalker! Kavel!)

Meine Mutter ist nie Schwedin geworden, was auch immer das sein mag, aber Schweden wurde ihr zu Hause. Dank dem Meer und den Seen und unserer kleinen Familie. Sie wollte auch nach dem Tod meines Vaters nicht zurück nach Österreich ziehen. Und als meine Mutter zu früh krank wurde, aber nicht so früh, dass es was Unerhörtes gewesen wäre, und ich sie zu den Arztterminen begleitete, nahm die Sprache eine neue Wendung. Je müder sie wurde, desto mehr kamen ihr die Worte in die Quere, und wie bei allen alternden Eltern und Kindern, wechselte die Hierarchie zwischen Pfleger und Gepflegtem. Ich musste ihr Gedächtnis sein, manchmal auch ihr Dolmetscher. In ihrer Stelle, in vertrautem Schwedisch, erklärte und forderte ich an, erzählte und erinnerte ich mir. Und mit zunehmend stolpernden Deutsch bemühte ich mich, mit Verwandten und Freunden meiner Mutter in Kontakt zu bleiben. Obwohl ich die Küchenschublade gut kenne, gehörte die Sprache von Krankheit und Tod nicht zu meinem deutschen Wortschatz. Vielleicht war das der Punkt, an dem die Trauer aufblühte, als sich die Perspektiven verschoben. Die Unzulänglichkeit, nicht alles, was ich sagen wollte, in ihrer Sprache sagen zu können, und dass ich die Trauer meiner Angehörigen nicht in ihrer Sprache beantworten konnte.

In dem letzten Monat im Leben meiner Mutter, es war ein heißer August, als sie akzeptiert hatte, dass sie sterben würde, saßen wir oft still zusammen im Garten des Hospizes. Wir sahen den Bienen zu, die zum Trinken in eine flache Vogeltränke flogen, hörten, wie Äpfel mit dumpfem Knall zu Boden fielen. Wir saßen oft ganz still, aber ich fragte sie einmal, ob es ihr leidtäte, dass sie keine Enkelkinder hatte, und sie sagte nein, aber dass es ihr leid getan hätte, wenn ich mir Kinder gewünscht hätten.

Welche Sprache hätte ich dem Kind gegeben? Ich kann mir nur vorstellen, dass ich mit meinem Kind Schwedisch gesprochen hätte, die Sprache, die für mich am leichtesten fließt, und damit hätte ich das Kind und mich noch weiter aus dem Leben meiner Mutter entfernt. Aber so ist halt der Lauf der Migration, auch wenn sie aus Liebe geschieht.

Das erste Buch, von dem mein Vater meinte, meine Mutter solle es auf Schwedisch lesen, war Harry Martinssons Aniara. Hätte ich ein Kind gehabt, hätte ich gesagt: Das erste Buch, das deine Großmutter auf Schwedisch las, handelt von einem Raumschiff, das vom Kurs abkommt und nicht mehr nach Hause zurückkehren kann. Es handelt von einer Reise ins Unbekannte. Es geht um den Versuch, einen Weg zu finden, wenn es keinen Weg mehr gibt, und um fortzuleben, wenn es keine Orientierungspunkte mehr gibt.

Aber das ist nicht mehr wichtig. Die Kinder werden nie geboren werden, meine Mutter ist tot und in Schweden begraben. Wenn ich darüber nachdenke, ist es vielleicht nicht mehr die Sprache, um die ich trauere, sondern alles andere, was mit dem Tod eines Elternteils verloren geht. Was nie gesagt wurde, wonach man nie gefragt hat. Was man nie verstehen wird.
Vielleicht war die Sprache auch gar nicht das Problem.

Hannah Altmann • 2024-06-24
Hannah Altmann är skribent och kulturarbetare och bor i Stockholm.